Klappentext
"Ich weiß, es kam ein bisschen plötzlich, aber danke, dass du gekommen bist", sagte Ninagawa gedehnt und rückte dabei langsam näher. "Also..."
Spucke flog aus seinem Mund, und ich schloss unwillkürlich die Augen. Sich entschuldigend wischte er hastig das Tröpfchen unter meinem Auge mit dem Daumen weg. Das Geräusch von geriebenem Haarflaum drang schwach an mein Ohr, und die verschwitzte Berührung seiner Daumenkuppe blieb auf meiner Haut zurück. Dann huschte er hinter mich, und ich dachte, jetzt kommt's, jetzt macht er mir den BH auf.
Die Geschichte von Hatsu und Ninagawa - erotisch und voller Poesie.
Erstkontakt
Auf meiner Bibliothekstour fiel mir unweigerlich der rosa Einband zwischen all den dunkel gehaltenen Büchern auf, und als ich den Namen einer japanischen Autorin las, wurde ich neugierig.
Ich mag die japanische Gegenwartsliteratur, die sich nicht immer leicht lesen lässt (Japanisch zu übersetzen, ist eine gewisse Kunst), aber mich jedes Mal in nachdenkliche, melancholische Gefilden zurücklässt. Banana Yoshimoto, Haruki Murakami und Hiromi Kawakami sind nur einige Autoren und Autorinnen, die ich auf meinem Nachtschrank habe.
Mein Leseerlebnis
Hatsu ist eine ganz normale Jugendliche - so denkt man. Das, was in unserem Land nichts Ungewöhnliches ist - individuell zu sein und keine Lust auf Fake-Freundschaften zu haben - ist in Japan jedoch das ganze Gegenteil. Und damit wirkt sie wie eine Außenseiterin. Ein Nagel, der herausragt, und der eingeschlagen gehört. Diese japanische Redewendung wird in dem Roman für ihr Eigenbrötlertum verwendet.
"Freundschaft" wird in Hatsus Umfeld anders definiert, was auch dem jugendlichen Dasein geschuldet ist: Man hängt zwei, drei Tage miteinander ab und ist schon befreundet. Für die Protagonistin sind das aber nur oberflächliche Nutznießerschaften. Und so zieht sie nicht mit, als ihre alte Freundin Kinuyo sich solch einer lockeren Clique zuwendet.
Dass Hatsu nun auf den ebenso eigenbrötlerischen und seltsamen Ninagawa ihrer Klasse trifft, welcher anscheinend ihre Hilfe braucht, ist kein wundersamer Schachzug der Autorin. "Gleich und gleich gesellt sich gern", passt recht gut. Zumindest auf den ersten Blick.
Denn während Hatsu ganz normale Interessen verfolgt und sportlich scheint, ist ihr Mitschüler ein Fan, ein Otaku*, und hat ein fanatisches Interesse an dem Model "Ori-chan". Dieses Interesse weitet sich sogar auf sexuelle Ebene aus. Da Hatsu sich immer mehr von den anderen zurückzieht, verbringt sie mehr und mehr Zeit mit Ninagawa und seltsamerweise fühlt sie sich sogar zu ihm hingezogen. Jedoch ist dies nicht das typische Schwärmen, wie man es bei Verliebtheit in Betracht zieht, sondern der Wunsch, ihm Gewalt zuzufügen, welche sie wiederum in Erregung versetzt.
Kinuyo bringt Hatsu nahe, dass dies wohl romantisches Interesse wäre, aber Letztere erscheint es zu abwegig...
Was genau gibt uns das Ende des Romans mit?
Die Annäherung zweier vollkommen unterschiedlicher Geister, die sich dennoch in einer Sache ähneln: Sie sind anders als der Großteil der Gemeinschaft.
Die unterschiedlichen Wertvorstellungen einer Freundschaft.
Dass Obsession nicht zum Ziel führt und dass das der Öffentlichkeit gestellte Bild einer Person nicht deren wahren Charakter zeigen muss.
Wie wird das Buch erzählt?
Mehr als nur die Momentaufnahme eines Aufeinandertreffens von Jugendlichen
Zu einem späteren Moment fragt sie ihn, ob er Schmerzen mag und veräußert im selben Atemzug gedanklich, dass sie ihn nicht noch einmal treten würde, wenn er bejaht.
Sein "Leid" ist hierbei also ein wichtiger Grund, ohne den sie nicht gewalttätig sein könnte. Dies kann als Ausdruck ihres eigenen Leids gesehen werden: Es gibt jemanden, der schwächer ist. Sie steht nicht am Ende der Nahrungskette. Die wahren Beweggründe werden wir hierfür nicht ergründen können, doch kommt das Triezen mit dem Rückentritt in der Abschlussszene ein zweites Mal vor. Ohne Erregung, ohne Lust. Als wäre es nur noch ein "freundschaftliches" Ärgern. Vielleicht eine Versinnbildlichung einer gesünderen Beziehung zwischen Hatsu und Ninagawa.
Weder wissen wir, in welche Richtung sich die Beziehung zwischen Hatsu und Ninagawa entwickelt, noch was die Protagonistin aus der Story für sich mitnimmt. Als Leser erfahren wir (siehe oben) einiges mehr, aber für die Hauptfigur ist es Herumtasten im Nebel ohne Ziel.
Zugreifen oder nicht?
Die Ausdrucksweise im Roman wirkt ausladend und geschmückt, mit Poesie hat dies aber nichts zu tun.
Erotisch... mitnichten. Ja, es kommt zu einem Kuss, aber selbst dieser ist weder besonders erotisch noch erregend, sondern eher einer aus jugendlicher Neugier.
Sind es die leicht perversen Fantasien der Charaktere?
Ist es die zynische Hatsu, welche der Norm auf ihre Art den Kampf ansagt?
Womöglich ist die Geschichte aber im Original wirklich unterhaltsamer, denn Übersetzungen aus dem Japanischen sind nicht die einfachsten. Dazu kann ich allerdings nichts sagen, da mir das Original weder vorliegt noch ich die Sprache ausreichend beherrsche.